Aleksander Brückner war eine der wichtigsten und kreativsten polnischen Forscherpersönlichkeiten in der Slawistik sowie in der polnischen Literatur-, Sprach- und Kulturgeschichte. Er gilt als der „letzte Polyhistor“ und seine über 1500 Publikationen umfassende Bibliografie zählt zu den umfangreichsten Lebenswerken eines Geisteswissenschaftlers.
Brückner wurde am 29. Januar 1856 in Tarnopol (dem heutigen Ternopil in der Ukraine, damals im Kaiserreich Österreich) geboren. Eng verbunden war er mit dem nahe gelegenen Brzeżany (ukr. Berežany), wo sein Großvater für viele Jahre Bürgermeister war. Die Familie Brückner war vermutlich im 18. Jahrhundert aus Österreich nach Polen gekommen, hatte sich in der multikulturellen Umgebung von Lemberg (poln. Lwów / ukr. L’viv) niedergelassen und dann rasch polonisiert.
Nach Abschluss des Gymnasiums 1872 begann Aleksander Brückner ein Studium der Philologie an der Universität Lemberg. Vier Jahre später wurde er in Wien bei Franz von Miklosich (Franc Miklošič) promoviert. Nach weiteren Studienaufenthalten in Berlin und Leipzig habilitierte er sich 1878 und begann an der Lemberger Universität zu arbeiten. Schon bald hieß es aber, dass er eine Professur für slawische Sprache und Literatur in Berlin erhalten würde. 1881 wurde er nach Berlin berufen und 1891 zum ordentlichen Professor ernannt. Bis zu seiner Emeritierung arbeitete er über 40 Jahre an der Berliner Universität, Brückners Gelehrsamkeit, Energie, Diskussionsfreude und Produktivität erregten große Bewunderung. Seine wissenschaftlichen Ideen waren ebenso brillant wie kühn, führten bisweilen zu Kontroversen und wurden nicht selten von ihm selbst später kritisiert und korrigiert. In Berlin wohnte er bis zu seinem Tod am 24. Mai 1939.
Das riesige Werk von Aleksander Brückner umfasst nicht nur kritische Erstausgaben seiner größten Entdeckungen (darunter der ältesten polnischen Texte), sondern auch eine mehrbändige Geschichte der polnischen Kultur (Dzieje kultury polskiej), eine noch immer in hohem Maße aktuelle Ausarbeitung zur slawischen Mythologie (Mitologia słowiańska), ein ungewöhnliches und ausschweifendes etymologisches Wörterbuch der polnischen Sprache (Słownik etymologiczny języka polskiego), eine monumentale altpolnische Enzyklopädie (Encyklopedia staropolska) und dutzende kritische Editionen, wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Ausarbeitungen sowie über tausend wissenschaftliche Artikel und Essays.
Der einzige Urlaub von Professor Brückner
Im Jahre 1889 reichte der 36-jährige Aleksander Brückner, Professor für Slawistik an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, erstmals einen Antrag auf Urlaub ein. Es blieb dies Brückners einziger Urlaub in seiner fast ein halbes Jahrhundert währenden akademischen Karriere – ein Urlaub, der für diese Karriere bedeutend wurde und zudem die Geschichtsschreibung zu polnischer Sprache und Literatur revolutionierte.
Der junge Professor hatte sich nämlich nicht Erholung, sondern Arbeit vorgenommen und diese hervorragend vorbereitet: Er verfügte über einen Reiseplan, Finanzhilfen von der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Kontakte, Empfehlungsschreiben und vor allem über Wissen und unübertroffene Forschungsintuition.
Zu Brückners Plänen gab es geheimnisvolle Berichte in den Zeitungen, die verlautbarten, der Professor beabsichtige, eine Geschichte der polnischen Literatur zu schreiben. Einige versicherten, diese befände sich bereits im Druck, andere erklärten, der Professor begebe sich erst einmal nach Sankt Petersburg, um neue Quellen zu finden.
Am Dienstag, den 11. August, sandte Brückner einen Brief auf Polnisch an einen seiner Förderer, den hochbetagten Romuald Hube, der im Königreich Polen als Politiker und in Sankt Petersburger als Professor tätig gewesen war: „morgen oder übermorgen fahre ich ab, in Danzig und Königsberg werde ich einige oder ein gutes Dutzend Tage verweilen – je nachdem wie umfangreich das Material sein wird –, so dass ich erst Ende August in Petersburg eintreffen werde.“ Die Hauptstadt des Russischen Kaiserreiches war also das Ziel der Reise, aber die Eisenbahnstrecke führte zugleich auch zu Nebenschauplätzen von Brückners Suche nach noch unbekannten polnischen Sprachdenkmälern. Brückner benutzte daher zunächst die Preußische Ostbahn, stieg an deren Endstation um in die auf breiterer Spur fahrende Petersburg-Warschauer Eisenbahn und fuhr schließlich weiter nach Norden bis zu deren letzter Station.
Am Donnerstag, den 16./28. November, schrieb Brückner dann auf Polnisch an Hube:
Seit Mitte August [julianischen Kalenders] erfreue ich mich in Sankt Petersburg des alten Stils und arbeite seit den ersten Tagen des Septembers in der Handschriftenabteilung; davor habe ich mich mit Druckwerken beschäftigt. Die Drucke sind nicht sonderlich ergiebig, vielleicht auch schon von Liebhabern sui generis zu sehr ausgelichtet; die Handschriften hingegen enthalten, obwohl es auch hier schon Fehlstellen und Lücken gibt, überaus reiches und wertvolles Material. Ich werde daher meine Forschungen auf die polnische und polnisch-lateinische Literatur vom 15. bis zum 18. Jahrhundert ausdehnen: Zu jeder Epoche, fast zu jedem bedeutenderen Autor, kann man bisweilen wichtige Beiträge finden, einige habe ich hier zum ersten Mal kennengelernt. Von zehn Uhr früh bis abends um acht arbeite ich in der Bibliothek, um drei, wenn die Handschriftenabteilung geschlossen wird, gehe ich Mittagessen und kehre dann zurück. Selbst an Sonn- und Feiertagen huldige ich von zwölf bis drei der Bibliothek. Ich bemühe mich folglich, die Zeit so gut als möglich zu nutzen.
Das klingt enthusiastisch, obwohl die Arbeitsbedingungen in der Kaiserlichen Bibliothek nicht zu den komfortabelsten zählten. Im Handschriftenlesesaal gab es weder Beleuchtung noch einen gut ausgearbeiteten Katalog, und zudem war es den Forschenden nur erlaubt, vier Bände pro Tag einzusehen. Es gelang Brückner jedoch, die strengen Prinzipien zu überwinden, und er bekam so viele Handschriften, wie er benötigte. Wenn es in der Handschriftenabteilung allzu dunkel wurde (im Herbst und Winter dauert der Tag in Sankt Petersburg nicht länger als sechs Stunden), ging er hinüber in den Lesesaal für Drucke, wo er ganze Stapel alter Bücher durchsuchte.
Acht Monate lang bestimmten die Öffnungszeiten der Kaiserlichen Öffentlichen Bibliothek sein Leben, und in diesen acht Monaten gelangen ihm mehr Entdeckungen als der ganzen Slawistik in dem halben Jahrhundert zuvor.
Raubgut
Warum führte Brückners Reise nach Sankt Petersburg und in die dortige Kaiserliche Bibliothek? Warum vermutete er, dass er dort die wichtigsten und wertvollsten Denkmäler polnischer Sprache und Literatur finden würde? Brückner verstand hervorragend, dass die russische Geschichts- und Kulturpolitik von Kolonialismus und dem Bestreben nach kultureller Suprematie über die unterworfenen Länder und Völker geprägt war, und die Grundlage einer solchen Politik sind bis heute Raub und Zerstörung.
So erwähnte Brückner mehrfach, dass er mit den „Załuski-Beständen“ arbeite, also mit solchen der ehemaligen Załuski-Bibliothek in Warschau. Diese war 1747 als erste öffentliche Bibliothek in Polen gegründet worden, wurde etwas später zur Nationalbibliothek und hatte Ende des 18. Jahrhunderts einen der größten Bücherbestände der Welt. 1794/95, kurz nach der Niederschlagung des Kościuszko-Aufstandes und noch vor der dritten Teilung Polen-Litauens, wurde die fast eine halbe Million Titel umfassende Sammlung dann von russischen Truppen geraubt.
Die systematisch nach Sankt Petersburg abtransportierten Bestände, von denen fast die Hälfte auf dem Weg durch Diebstahl verloren ging, wurden zum Hauptbestandteil der von Katharina II. gegründeten Kaiserlichen Öffentlichen Bibliothek. Die wichtigsten Denkmäler polnischer Geschichte und Kultur befanden sich nun als Raubgut in den Händen der Kolonisatoren.
Weitere große Sammlungen wurden von den russischen Herrschern nach der Niederschlagung des Novemberaufstandes 1831 entwendet: die Bestände der Warschauer Gesellschaft der Freunde der Wissenschaften und vor allem die der Öffentlichen Bibliothek an der Warschauer Universität. Nach der von Kaiser Nikolaus I. als Vergeltungsaktion für den Aufstand verfügten Schließung der Universität wurden diese ebenfalls von der Sankt Petersburger Bibliothek übernommen. Darunter befanden sich auch die noch unerforschten Bücherbestände der 1819 aufgehobenen polnischen Klöster – und auf dem Einband eines der darin enthaltenen Bücher fand Brückner den ältesten fortlaufenden polnischsprachigen Text: die Heiligkreuz-Predigten.
Nach dem Polnisch-Sowjetischen Krieg verpflichtete sich die russische Seite im Rigaer Vertrag von 1921 zur Rückgabe eines Teils der geraubten Bestände – einschließlich der wertvollsten, von Brückner entdeckten Denkmäler. Mehr als ein Jahrzehnt dauerte es dann, bis diese vollständig nach Warschau zurückgekehrt waren und zur wichtigsten Sammlung der polnischen Nationalbibliothek wurden. Einige werden noch heute von dieser aufbewahrt.
Der größte Teil der aus Sankt Petersburg zurückgeholten Bestände ging jedoch 1944 verloren – absichtlich in Brand gesetzt von deutschen Militäreinheiten während des Warschauer Aufstandes.
Der seltsame Provinzonkel
Noch niemand hat es gewagt, eine Biografie von Aleksander Brückner zu schreiben – alle, die dies erwägen, sind wie eingeschüchtert von ihm. Brückner selbst hat dafür gesorgt, dass sein Privatleben privat blieb, während seine wissenschaftlichen Aktivitäten hervorragend organisiert und genau mit dem akademischen Zeitplan sowie mit beruflichen Treffen in Cafés abgestimmt waren. Wenn man den Gelehrten dennoch ein wenig verstehen will, muss man seine Arbeiten durchgehen, von denen es mehr als 1500 gibt (und dabei ist noch unbekannt, wie viele er anonym oder unter Pseudonym publizierte), man muss die Erinnerungen derjenigen lesen, die bei ihm studierten und mit ihm zusammenarbeiteten, und schließlich muss man sich seinen heiß geführten Auseinandersetzungen widmen.
Max Vasmer, der Nachfolger Brückners auf dem Berliner Lehrstuhl, erinnerte sich in einem auf Polnisch verfassten Brief:
Vor 1915 kannte ich Brückner nur aus dessen schriftlichen Äußerungen und hatte den Eindruck, dass jeder selbstständig denkende Mensch sich mit ihm verstreiten müsse. Das erste Mal begegnete ich ihm dann im Sommer 1919 […]. Und da erwies sich Brückner im persönlichem Kontakt als ungewöhnlich sympathisch, freundlich und taktvoll. Als ich später nach Berlin zog, ging er mit mir um wie ein Vater mit seinem Sohn.
Tatsächlich war Brückner in seinen Texten außergewöhnlich apodiktisch, eigensinnig, zur Polemik neigend und gelegentlich geradezu boshaft. Gleichzeitig gehörte er zu dem seltenen Gelehrtentyp, der ebenso kritisch mit seinen eigenen wie mit fremden Befunden umgeht. Viele seiner wissenschaftlichen Ideen entstanden spontan – sie ergaben sich aus umfangreichem Wissen gepaart mit außergewöhnlicher Forschungsintuition. Dies ermöglichte Brückner große Entdeckungen, verleitete ihn aber auch zu vollständigen Missverständnissen von Sachverhalten – zu denen er sich später bekannte und sie in Artikeln richtigstellte.
Die Wahrnehmung Vasmers wurde auch von anderen Bekannten Brückners geteilt: Während dieser in seinen Schriften stets nach Diskussionen und Polemiken suchte, zeichnete er sich im persönlichen Umgang durch Sanftmut, Nachsicht und sogar eine gewisse Art Schüchternheit aus. Er hatte Sinn für Humor, auch wenn er dies nicht immer zeigte. Besonders schätzte er die altpolnischen Fazetien voller derbem und anzüglichem Witz – er selbst hat im Übrigen viele von ihnen aufgefunden und in die Polonistik den Begriff der „Sowizdrzał-Literatur“, das heißt der „Eulenspiegel-Literatur“, eingeführt.
Brückners Schreibstil war außergewöhnlich: dicht, häufig umgangssprachlich, aber dabei anspruchsvoll zu lesen, ausschweifend und sehr subjektiv. Sein persönlicher Stil zeichnete sich darüber hinaus durch Originalität aus. Der Literaturhistoriker Stefan Kołaczkowski, der bei Brückner studiert hat, schrieb später auf Polnisch über ihn:
Da er sich auf keinerlei Weise am gesellschaftlichen Leben beteiligte – tatsächlich lebte er von der Welt abgeschnitten – wurden seine ganze Lebensart, sein Aussehen und sein altertümlicher Kleidungsstil für ihn charakteristisch. Er bewahrte die Eigenarten des Milieus und der Epoche seiner Jugend. Ich erinnere mich an meine Verwunderung, als ich ihn 1912 zum ersten Mal vortragen hörte. Für mich als Student war er: ein Provinzonkel. Das war mit einer gewissen Komik verbunden, die den unerwarteten Unverhältnismäßigkeiten entsprang: der europäische Ruhm eines Provinzonkels; da ist ein Provinzonkel … und er spricht in Berlin vom Katheder herab – ganz wie ein Gelehrter!
Brückner war geradezu ein typischer polnischer „Provinzonkel“. Sowohl in der Jugend als auch am Lebensende trug er einen altertümlichen zweireihigen Gehrock und einen sorgsam gepflegten Schnurrbart. Geboren 1856 im damaligen Ostgalizien nahe dem heute in der Ukraine liegenden Berežany, sprach er Polnisch mit einem starken östlichen „Brzežaner“ Akzent. Dabei war Sprache für ihn sowohl Arbeitsmaterial als auch Forschungsgegenstand. Mit Blick auf die Geschichte des Polnischen schrieb er: „Sprache ist launisch – nie errätst du vorher, was sie sich wünscht, wohin sie strebt“, und er machte darauf aufmerksam, dass die Antriebskraft linguistischen Wandels die „Faulheit der Sprechenden“ sei. Angesichts des langsamen Verschwindens der polnischen Dialekte und der sprachlichen Assimilation von ethnischen und nationalen Minderheiten forderte er dazu auf, mit Feldforschung und Sprachaufzeichnungen zu beginnen und ein großes phonographisches Archiv des Polnischen aufzubauen. Anscheinend verstand der altertümliche Professor hervorragend den Wert der neuen Technologien.
Erstaunlich mag erscheinen, dass Brückner bei sich zu Hause keine Büchersammlung anlegte und ihm geschenkte Bücher fortgab (er sprach von „Wegwerfen“!). „Er schätzte nur öffentliche Bibliotheken“, schreibt Kołaczkowski. Außerdem verkörperte Brückner das Gegenteil des deutschen Wissenschaftskonservatismus – man warf ihm vor, methodologisch sowie wissenschaftlich geradezu anarchisch vorzugehen, und sprach davon, er habe polnisches, ja sogar „sarmatisches“ Ungestüm. Er war stets voller Energie und publizierte noch in seinen letzten Lebensmonaten. Seine Arbeit untergrub dabei den literarischen Kanon: Er liebte es, hervorzuholen, was leicht übersehen wird, etwa vergessene Werke und Verfasser, Kleinigkeiten, Glossen sowie Marginalien, und dank seiner Forschungsintuition und Genialität erwiesen sich scheinbar wertlose Pergamentreste als kostbare Sprachdenkmäler.
Emma
Er war ein Jahr älter als sie und sie trug denselben Vornamen wie seine Mutter. Geheiratet haben sie 1897. Man sagte, sie, die bereits Witwe war und bei ihm als Dienstmädchen gearbeitet hatte, sei damals durch außergewöhnliche Schönheit aufgefallen. Die meisten seiner Bekannten wiederholten dazu immer nur ein Wort: Mesalliance.
Emma Henrietta, geborene Hakelberg, wurde von den Bekannten Brückners als eine der Wunderlichkeiten dieses großen Individualisten angesehen. Sie behandelten sie mit leichter Ironie oder ignorierten sie. Vasmer schreibt über sie: „eine völlig ungebildete Deutsche“. Józef Frejlich, ein Historiker, der an der polnischen Botschaft in Berlin beschäftigt war und mit Brückner in dessen letzten Lebensjahren in gesellschaftlichem Kontakt stand, urteilte über sie in seinen polnischsprachigen Erinnerungen unbarmherzig:
Brückner heiratete spät […]. Er nahm eine Deutsche zur Frau, geleitet von Anstand und dem Gefühl männlicher Ehrbarkeit. Intellektuell entsprach die Brückner ganz und gar nicht dem Niveau ihres Mannes. […] Diesen gewaltigen Unterschied verstand die Brückner selbst. Sie war in der Lage stundenlang in einem Zimmer zu sitzen und zuzuhören […], wie auf Polnisch Gespräche, die die Brückner im Übrigen nicht verstand, geführt wurden, ohne sich auch nur im Geringsten in die Gespräche einzumischen. […] Für Brückner war sie eine gute Hausfrau, aber darin erschöpfte sich ihre Rolle und ihr Einfluss auf das Leben des Berliner Einzelgängers.
Die Brückners führten ein geschlossenes Haus, und Brückner selbst nahm nicht am gesellschaftlichen Leben teil, sondern sorgte für ihre Privatsphäre. Beide gaben nichts auf Gerüchte, und ihre Verbindung hielt problemlos über 40 Jahre, bis zum Tod Aleksanders 1939. Emma verstarb ein Jahr später, als bereits der Krieg begonnen hatte und kaum jemand den Tod der Frau eines polnischen Professors aus Berlin wahrnahm.
Erst einige Jahrzehnte später widmete sich der Literaturhistoriker Tadeusz Ulewicz etwas gründlicher der Verbindung zwischen den Brückners. Er konstatierte, Frejlich unangemessenen Spott vorwerfend, dass es ohne die Bemühungen und die Sorge von Emma die gewaltige wissenschaftliche Hinterlassenschaft Aleksanders nicht gäbe. Emma war nicht dessen „Hausfrau“, sondern seine Partnerin, mit der er die wichtigsten Entscheidungen seines Lebens abstimmte. Als Polen seine Unabhängigkeit erlangt hatte, erhielt der weiter in Berlin lehrende Brückner häufig Einladungen und Angebote, dorthin zurückzukehren und eine hohe akademische Position zu übernehmen. Ulewicz weist darauf hin, dass Brückner, obwohl die Bedingungen in Polen deutlich günstiger als in Deutschland gewesen seien, unter verschiedenen Vorwänden konsequent ablehnte. In Wirklichkeit verließ er Berlin aus einem einfachen Grund nicht: seiner Liebe zu Emma.
Eine Makulatur wertvoller als Gold
Die Heiligkreuz-Predigten
Als ich mir am 25. März dieses Jahres [1890] in der Petersburger Öffentlichen Bibliothek eine lateinische theologische Handschrift anschaute, die Anfang des 15. Jahrhunderts auf Papier in Quartformat niedergeschrieben worden war und aus der alten und reichen Bibliothek des Klosters Heiligkreuz (Święty Krzyż) stammte, entdeckte ich auf schmalen Pergamentstreifen (die seinerzeit beim Binden von Papierhandschriften in die Mitte der einzelnen Hefte gelegt wurden, um Beschädigungen durch den Faden zu verhindern), polnische Ausdrücke in altertümlicher Schrift; von diesen Streifen, die auf mein Bitten hin herausgenommen wurden, gab es achtzehn.
Ateneum 58 (2/1890), Übersetzung aus dem Polnischen
So berichtete Aleksander Brückner über seine größte, auf den ersten Blick ganz unscheinbare Entdeckung in den nach Sankt Petersburg verbrachten polnischen Beständen. Auf achtzehn Pergamentstreifen, einer mittelalterlichen Makulatur, die im 15. Jahrhundert zur Verstärkung eines gebundenen Buches benutzt wurde, war ein Text zu sehen, der ein Jahrhundert früher geschrieben worden war. Wie sich rasch herausstellte, handelte es sich um den ältesten fortlaufenden Text in polnischer Sprache. Dreizehn der aus der Bindung herausgezogenen Streifen ließen sich zu einer beidseitig beschriebenen Doppelseite zusammensetzen, die übrigen bildeten einen Teil der nächsten. Darauf niedergeschrieben war der Text kirchlicher Predigten, von denen sich allein die zum Gedenktag der Heiligen Katarina vollständig erhalten hat.
Die Tragweite seiner Entdeckung empfand auch Brückner selbst, der bereits einen Monat später in der polnischen Presse mitteilte, „das älteste polnische Sprachdenkmal“ sei aufgefunden worden. Brückner datierte den Fund auf das 14. Jahrhundert, wobei der Text selbst auch hundert Jahre zuvor entstanden sein könne. Stanisław Ptaszycki, der polnische Archivar in Sankt Petersburg, nannte die Entdeckung „Brückner-Denkmal“, aber der Finder selbst schrieb bereits in einem Brief an Romuald Hube vom August 1890 von „Heiligkreuz-Predigten, wie ich sie nenne“. Die Forschung streitet noch immer darüber, woher das Denkmal stammt – erwähnt werden Leżajsk und Miechów in Konkurrenz zum Benediktinerkloster Heiligkreuz auf dem Berg Łysa Góra.
Die achtzehn Pergamentstreifen wurden sorgfältig der Bindung des mittelalterlichen Buches entnommen und zwischen zwei Glasscheiben aufbewahrt. 1925 kehrten sie zurück nach Polen, und da sie zusammen mit den wertvollsten Beständen der Nationalbibliothek nach Kanada evakuiert wurden, überstanden sie den Krieg. Die Handschrift, deren Bindung sie jahrhundertelang gedient hatten, verbrannte hingegen während des Warschauer Aufstandes.
Gebet IV: zur Geburt des Herrn
A przeto iże nie imiał w swem narodzeni, gdzie by swą głowę podkłonił, togodla przed wołem a przed osłem w jasłkach Syn Boży położon był, bo dziewica Maryja acz pieluszek dobrych w to wrzemię nie imiała, a togodla ji we złe chustki ogarnęła. […] Naleźli ji, prawi, pieluszkami ogarnienego a jasłkach położongo. Toć wiem wielikie ubostwo krola tako csnego, iż jeść tako śmierne przyście i tako śmierne narodzenie Syna Bożego, jenże przez początka z Bogiem Oćcem jeść krolewał.
Und weil er nach seiner Geburt nichts hatte, wohin er sein Haupt hätte legen können, deshalb wurde er vor einem Ochsen und vor einem Esel in eine Krippe gelegt, und weil die Jungfrau Maria zu dieser Zeit gute Windeln nicht hatte, deshalb wickelte sie ihn in ärmliche Leinentücher. […] Sie fanden ihn, sagt [der Evangelist], in Windeln gehüllt und in eine Krippe gelegt. Groß war nämlich die Armut des so ehrwürdigen Königs, so dass seine Ankunft demütig und die Geburt von Gottes Sohn demütig war, der doch von Anfang an mit Gott Vater herrschte.
Comfort Food
Das erste polnische Gedicht? Was für ein hochtrabender Titel – mag sich der erstaunte Leser fragen –, was ist, wenn es eines schönen Tages vielleicht doch noch gelingt, eine Handschrift aufzuspüren, die frühere Gedichte enthält?
Dem kann ich nicht widersprechen – aber ich bezweifele stark, dass sich irgendwann ein älteres Gedicht finden wird, als jenes, das ich hier veröffentliche. Sicher gibt es ältere, Bogurodzica, das religiöse Lied von der Gottesgebärerin zum Beispiel, und es gibt Volkslieder, deren Ursprünge weit vor dieses zurückreichen …
Atheneum 61 (1/1891), Übersetzung aus dem Polnischen
Diese Zeilen stellte Brückner der Erstpublikation eines Gedichtes voran, das eher als „das erste bekannte weltliche Gedicht in polnischer Sprache“ bezeichnet werden sollte. Heute ist es unter verschiedenen Titeln bekannt: Wiersz o zachowaniu się przy stole, Wiersz Słoty, Wiersz o chlebowym stole (Gedicht vom Benehmen bei Tische, Słotas Gedicht, Gedicht vom Brottisch) oder wird nach der Anfangszeile benannt: Gospodnie, da mi to wiedzieć (Herr, lass mich wissen). Es handelt sich um ein höfisches, didaktisches und zugleich leicht satirisches Gedicht. Teils steht es mit dem höfischen Frauenlob des Mittelalters in Zusammenhang, teils mit der Marienverehrung. Vor allem ist es jedoch ein Gedicht über das Essen und über kulinarische Etikette.
Im Zentrum steht der auch titelgebende „Brottisch“ – die Festtafel, an der Hofleute speisen. Reich gedeckt vertreibt diese alle Sorgen: „Z jutra wiesioł nikt nie będzie, / Aliż gdy za stołem siędzie, / Toż wszego myślenia zbędzie“. Auf Deutsch heißt dies ungefähr: niemand ist am Morgen fröhlich, doch kaum sitzt man zu Tisch, verfliegen alle Sorgen – und dies beweist, dass die Idee des comfort food ganz gewiss nicht erst im letzten Jahrhundert geboren wurde, sondern bereits im Mittelalter wohlbekannt war.
Bei Tische hatte man sich allerdings entsprechend zu benehmen und die höfische Etikette einzuhalten. Das Gedicht stellt eine Liste schlechter Manieren auf, und das lyrische Ich spart nicht mit Verwünschungen für ungehobelte Gäste: „manch einer geht zu Tisch, lässt sich dahinter nieder wie ein Ochse, sitzt fest wie ein in den Boden gerammter Pfahl“. Ein anderer wiederum „stürzt sich als erster auf die Schüssel, da sie ihm süß wie Honig – möge ihm ein Geschwür den Mund verschließen!“ Einer isst mit schmutzigen Pfoten, „ein anderer hamstert Essen, indem er Bissen abrupft wie einer, der die Hacke schwingt“. Der schlimmste Typ von Gast „greift in fremde Schüsseln auf der Suche nach den besten Bissen“. Zum Glück ist die höfische Dienerschaft auf der Hut vor den gierigen Fresssäcken und stellt „die besseren Schüsseln“ vor die „Ehrenvollen“, die sich nicht aufs Essen stürzen. Die Tafel spiegelte dabei die höfische Hierarchie wider, beziehungsweise eher die feudalen Beziehungen – darüber, wer wichtig war, entschied nicht der Besitz der Tafelnden. Bevor das Gedicht ausführlich die Frauen lobt – „Euch rühme ich, Fräulein und Frauen, da es nichts Besseres als Euch gibt“ – und von ihnen meint, dass ihnen „die Mutter Gottes die Macht gab, dass vor ihnen die Fürsten sich erheben und sie stark rühmen“, findet sich schließlich noch ein Moment, um auf gute Manieren bei Tisch hinzuweisen: „Fräulein, haltet euch daran, Euch kleine Happen abzuschneiden, nehmt oft, aber klein, und esst, als ob ihr wünschtet nur einen“.
Das Poem ist nicht anonym verfasst – in der letzten Zeile unterzeichnete demutsvoll „Słota, ein sündiger Diener“. Brückner schrieb am Anfang seines Artikels, es handle sich vielleicht um „irgendeinen Scholaren“, aber ein paar Seiten weiter, am Schluss, begann er bereits seine Annahme zu revidieren: „Wer Słota oder auch Złota – aufgrund der Schreibweise der Handschrift lässt sich das nicht entscheiden – war, kann ich derzeit nicht sagen; ich habe sogar Zweifel, ob ich ihn zurecht als Scholaren bezeichnete.“ Späteren Forschungen zufolge könnte es sich bei dem Autor um Przecław Słota von Gosławic handeln, den Unterstarosten von Posen.
Das Gedicht wurde auf den letzten Seiten der Handschrift niedergeschrieben. Kurz davor, am Ende lateinischer theologischer Traktate, wurde ein (auch aus anderen Quellen bekanntes) mittelalterliches polnischsprachiges Kurzgedicht eingetragen, das gewissermaßen auch mit dem Verhalten bei Tische verbunden ist:
Kaplan, willst du Gutes für deine Seele tun, Sag nicht zu oft: „Schenk Bier ein!“; Denn Bier ist ein wundersames Öl. Darüber nämlich lachen die Bauern, die sagen: „Verrückt sind die Popen“.
Am Ende seines Artikels über „das erste polnische Gedicht“ schrieb Brückner:
Die Handschrift, aus der ich dieses Gedicht abschrieb, befand sich bei den Benediktinern von Sieciechów, denen sie noch im 15. Jahrhundert ein gewisser Vater Mikołaj übergeben hatte; heute ist sie in der Kaiserl. Öffenlichen Bibliothek in Petersburg, wohin man sie aus Warschau gebracht hatte; ihre Signatur: Lateinische Handschriften, Abt. I (Theologie), in Quart, Nummer 25. Es ist dies eine Sammlung theologischer Traktate, die 1413, 1414 und 1415 in Krakau geschrieben wurden, von der Hand Lutosławs von Radlin oder Chrościechów …
Die von Brückner aufgefundene Handschrift Lat. I Qu. 25, geschrieben von der Hand des Lutosław, den Benediktinern des Sieciechower Klosters übergeben von Vater Mikołaj, gelangte in die Warschauer Załuski-Bibliothek. Dort wurde sie von russischen Truppen geraubt und nach Sankt Petersburg gebracht. Nachdem man sie in den Jahrzehnten zwischen den Kriegen zurückbekommen hatte, wurde sie in der Nationalbibliothek verwahrt. 1944 wurde die Handschrift mit dem Gedicht von der Festtafel, der Satire auf den Trinker-Priester und den theologischen Traktaten zusammen mit zehntausenden anderen Büchern von einem deutschen Sonderkommando verbrannt.
Die Muttergottes geht übers Meer
Am Ende einer kleinen, von russischen Truppen aus der Załuski-Bibliothek entwendeten Handschrift, die Predigten und die Legende von der heiligen Dorothea enthält, fand Brückner mittelalterliche Zaubersprüche. Auf die lateinischen, teilweise verwischten Sprüche, die mit den Worten In stellas una non una beginnen, folgen polnische:
Morgenrot, Morgenröten drei Schwestern
Es wandelte die Muttergottes auf dem Meer und sammelte goldene Schaumkronen. Der Heilige Johannes traf sie: – Und wohin gehst Du, Mütterlein? – Meinen Sohn gehe ich kurieren.
P(russische) Butter, so wie die Menschen nicht ohne sie sein können, so sollst du nicht ohne mich sein …
Besonders enigmatisch erscheint der dritte Zauberspruch; es ist nicht klar, was eine „preußische“ oder „russische“ Butter sein könnte (vielleicht eine Pflanze?). Doch kann man sich vorstellen (das suggeriert auch Brückner), dass der Sinn der ganzen Formel mit Liebeszauber verbunden ist.
Auch wenn die erste Formel manche an eine Anrufung heidnischer Göttinnen erinnern mag, könnte sie auch mit lateinischen Zaubersprüchen in Zusammenhang stehen. Die Anrufung der Morgenröte zur Linderung irgendwelcher Leiden war wahrscheinlich noch lange in der Volkstradition im Gebrauch. Ignacja Piątkowska notierte vor 1887 einen derartigen Brauch in der Gegend von Sieradz:
Wenn ein Kleinkind nachts weint und man dem für die Zukunft vorbeugen will, so nehme man es an drei aufeinander folgenden Tagen und setze es direkt den verblassenden Sonnenstrahlen aus und spreche diesen Zauberspruch:
Abendröte, Abendröte, Abendrot, nehmt das Weinen von unserem Kind.
Der zweite und umfangreichste Zauberspruch stellt eine apokryphe Dialognarration dar. Solche Formeln findet man in ganz Europa, sie sind ein Element der christlichen, volkstümlichen Beschwörungen. Sie erscheinen oft in der Form einer kurzen Erzählung über Heilige, Jesus oder Maria, die durch die Welt wandern und den Leidenden Erleichterung bringen oder die personifizierten Krankheiten austreiben. Der in der Nähe von Kielce lebende Priester und Volkskundler Władyslaw Siarkowski notierte im 19. Jahrhundert eine sehr ähnliche polnische Formel, die gegen Tollwut helfen sollte:
Es ging Mütterchen auf dem oberen Weg, der Herr Jesus selbst traf sie dort: – Wohin gehst du, mein Mütterchen? – Ich gehe die tollwütige Bestie zu besprechen. – Geh, geh hin mein Mütterchen, beschwöre sie mit Gottes Hilfe und deiner mütterlichen Kraft.
Es stellt sich die Frage, warum diese Zaubersprüche in einer Handschrift mit Predigten und Heiligenlegenden aufgeschrieben wurden. Vielleicht kritisierte ein Prediger seine Gläubigen für den Gebrauch solcher Sprüche und notierte deren Wortlaut bei einer „Feldforschung“. Es könnte aber auch umgekehrt sein, dass sie aus praktischen Gründen notiert wurden, um Krankheiten zu heilen.
Dieser unscheinbare Schatz, der Religion und Zauberei, Wissenschaft und Volkstum sowie letztendlich die lateinische und die polnische Sprache verbindet, ist nach Polen zurückgekehrt, hat den Krieg überdauert und befindet sich heute in der Nationalbibliothek.
Bildunterschrift: Die Zaubersprüche auf der letzten Seite einer Handschrift mit Predigten und Heiligenlegenden, Ende 15. Jh. Nationalbibliothek, Signatur Rps 3030 I.
Der König der Engel [Herr im Himmel], der Heilige Geist und die Wahl der Ehefrau
Die Handschrift mit der Signatur 3021 ist mit mittelalterlichem Polnisch durchsetzt. Sie enthält im 15. Jahrhundert niedergeschriebene lateinische Predigten, die mit vielen polnischen Glossen und ferner mit polnischen Liedern versehen sind.
Am Anfang finden wir das wahrscheinlich älteste polnische Weihnachtslied, das mit den Worten beginnt:
Sei gesund, du Herr der Engel, Der du leibhaftig zu uns gekommen bist, Du bist der wahre verborgene Gott, In den heiligen, reinen Körper eingegangen …
Danach zitiert der Prediger ein auch aus anderen Quellen und in anderen Varianten bekanntes polnisches Lied, das Ratschläge für einen Jüngling auf der Suche nach einer Partnerin enthält:
Wähle, Jungchen, nicht mit den Augen, Sondern höre mit den stillen Ohren. Das Geschmeide wird dich, Jungchen, in die Irre führen, Auch das glatte, bemalte Gesicht Jedes Fräulein hat rote Wangen, Doch schau, dass sie häuslich sei.
Auf diese praktischen Hinweise folgt die Beschreibung einer guten Beichte, die „einfach, demütig, […] rein und treu, regelmäßig und offen, klug und freiwillig, schamhaft, vollständig, geheim, reuig, tränenreich, unverzüglich, stark und sehr gehorsam“ sein sollte. Später, in der Predigt zur Ostermesse, erinnerte der Prediger an den Ausschnitt des berühmten polnischen Osterliedes Christ ist erstanden, den Menschen ein Beispiel gab; es war so bekannt, dass er es nicht ganz aufschreiben musste. Interessanterweise wurde die polnische Version des ältesten deutschen Osterliedes auch zu derselben Melodie gesungen. Das letzte Lied in der Handschrift ist die polnische Adaption der Sequenz Veni SancteSpiritus:
Komm, Heiliger Geist, Erquicke die Herzen deiner Gläubigen, und erleuchte ihre Seelen.
[…]
Vergib uns unsere Sünden, Und nimm uns auf in das Himmelreich. Amen.
Dum bibo piwo [Wenn ich trinke Bier]
Die Handschrift 8076 aus der Nationalbibliothek gehört nicht zu denen, die nach Petersburg verbracht wurden. Brückner arbeitete daran in Lemberg. Das Material darin war für ihn überaus attraktiv – es enthielt etwas, was er besonders liebte: derben mittelalterlichen Humor.
Der Kodex beginnt mit dem sehr bekannten lateinischen Traktat von Andreas Capellanus über die höfische Liebe De amore et de amoris remedio. Aus unbekannten Gründen ergänzte ein Kopist das Werk mit altpolnischen Akzenten, indem er einige anzügliche Glossen einfließen ließ: „kop“ [F*tze], „masdze“ [Pimmel], „piszcza“ [Möse] und vergab an die eigene Sprache angelehnte Namen, hauptsächlich Diminutive: Sofiechenschönchen, Bischöfchen, Mohrchen, Plappertäschchen, Ministrantenbläschen, Katarinchenliebchen, Ännchen, Warschauerin, Masurerin, Affenbiest …
Die Handschrift enthält noch einige weitere gelehrte Traktate. Nach der Abhandlung Epithoma institutorum rei militaris ad Theodosium Imperatorem von Publius Flavius Vegetius Renatus, einer spätantiken Erörterung zum römischen Militärwesen, fügte der Schreiber als „Explicit“ eine scherzhafte Schlussbemerkung an. Brückner entdeckte und veröffentlichte viele solcher kleinen Texte, in denen Kopisten sich über ihre Entlohnung und schlechte Arbeitsbedingungen beschwerten, Essen und Trinken forderten, ihre Freude über die Beendigung der Arbeit ausdrückten und den Heiligen oder ihren Gönnern dankten. Nachdem der Schreiber die Kopie des Textes von Vegetius fertiggestellt hatte, fügte er einen lateinisch-polnischen Reim an:
Explicit hoc totum [Dies soll das Ganze schließen] Infunde, da michi potum [Jetzt ein Getränk – los eingießen] Dum bibo piwo [Wenn ich trinke Bier] Stat michi kolano krzywo [Steh ich mit Wackelbeinen hier]
Die Ausstellung „Aleksander Brückner (1856-1939). Auf der Suche nach dem verlorenen Mittelalter“ wurde vorbereitet durch:
Polnische Nationalbibliothek (Warschau) Autor und Kurator der Ausstellung: Dr. Łukasz Kozak Graphische Gestaltung: Hanna Dudkowiak
Das Projekt wurde aus den Mitteln der Kanzlei des Ministerpräsidenten der Republik Polen im Rahmen des Projektes Die Überführung der Urne von Prof. Brückner und die Beisetzung auf dem Rakowicki Friedhof in Krakau sowie die Organisation der Begleitveranstaltungen finanziert, das von der Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung durchgeführt wurde.
Die deutsche Sprachfassung der Ausstellung entstand in Kooperation mit:
Stiftung Polnisch-Deutsche Aussöhnung, Warschau Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften Mit Unterstützung vom Institut für Slawistik und Hungarologie der Humboldt-Universität zu Berlin Übersetzung: Dr. Karsten Holste Lektorat: Benjamin Voelkel